Das MABIKOM-Konzept
Zum Geleit
"(…) Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen."Prof. Dr. Müller-Limmroth 02.06.1988 in der "Züricher Weltwoche"
Das Thema „Binnendifferenzierung“ ist bestimmt nicht neu, denn individuelle Unterschiede der Lernenden hat es in allen Schulformen schon immer gegeben – sie wurden und werden jedoch unterschiedlich wahrgenommen und mal mehr oder weniger explizit in der Unterrichtsplanung berücksichtigt. Man kann einerseits unterschiedliche Herangehensweisen von Lernenden an ein Thema oder eine Aufgabe als Bereicherung für die gesamte Lerngruppe erkennen und nutzen. Andererseits können weit auseinander klaffende Lernvoraussetzungen in einer Lerngruppe auch zu einer Überforderung nicht nur der lernschwachen Schülerinnen und Schüler (und zu einer Unterforderung der Lernstarken) führen sondern auch die Lehrkräfte in Situationen bringen, die nicht mehr mit angemessenem Arbeitsaufwand befriedigend bewältigbar erscheinen. In den letzten Jahren sind die Erwartungen der Eltern und der Gesellschaft insgesamt an eine möglichst individuelle Förderung jedes Einzelnen deutlich artikuliert worden. Damit verstärkt sich ein aus der allgemeinen Didaktik schon lange bekanntes Dilemma: Es gilt Unterricht „für alle“ im Klassenverband zu organisieren, was eine gewisse Einheitlichkeit erfordert, und gleichzeitig soll individuelle Förderung und individuelles Eingehen auf die Lernenden gelingen. Diese anspruchsvollen Anforderungen an eine Lehrkraft wurden in der Züricher Weltwoche in obigem Zitat zusammengefasst.
Theoretischer Hintergrund
Den theoretischen Hintergrund zu den MABIKOM Projekten bildet ein Konzept zum binnendifferenzierenden Unterricht, dessen Eckpfeiler folgende Elemente bilden:
- Ziel- und Inhaltstransparenz für die Lernenden
- angepasste Anforderungen an unterschiedliche Lernvoraussetzungen und eine stärkere kognitive Aktivierung der Lernenden
- Förderung der Selbstregulation bei Schüler/innen
- Wachhalten von grundlegendem Wissen und Können
Für einen binnendifferenzierenden Mathematikunterricht ist eine tragfähige und langfristige Zielorientierungen und Motivierungen bei den Lernenden unabdingbar. Hierzu eigenen sich differenzierende Unterrichtseinstiege, bei denen ein neuer Sachverhalt unter Einbeziehung der Vorerfahrungen der Lernenden zunächst erkundet wird. Mehr zu diesem methodischen Element finden Sie im Bereich Methoden.
Weiterhin wird im Unterrichtkonzept verstärkt mit Wahlmöglichkeiten gearbeitet, um einen individuellen Lernfortschritt für alle Lernenden zu unterstützen. Insbesondere in den Übungsphasen kommen verstärkt Aufgaben mit Wahlmöglichkeiten zum Einsatz. Durch das Angebot an mehreren Alternativen und Aufgaben kann auf unterschiedliche Lernvoraussetzungen eingegangen und eine differenzierte kognitive Aktivierung der Schüler erreicht werden. Auf große Unterschiede im Arbeitstempo, Festigungsbedarf und im kognitiven Leistungsvermögen kann man mit Aufgabensammlungen mit unterschiedlichem fachlichen Anspruchsniveau reagieren. Die Möglichkeit, aus einem anforderungsgestuften Aufgabenfeld auswählen zu können, stärkt die Eigenverantwortlichkeit der Schüler und schult ihre Fähigkeit, die Aufgaben einer Unterrichtseinheit nicht einzeln für sich, sondern in einem thematischen Zusammenhang zu sehen. Je vielseitiger die Palette der angebotenen Aufgaben ist, desto mehr Schülerinnen und Schüler können in ihrer Vielfalt kognitiv angesprochen werden.
Weiterhin ist es für einen binnendifferenzierenden Unterricht notwendig, dass die Selbsteinschätzungskompetenzen der Schüler entwickelt werden und sie zumindest ansatzweise Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen. Um zu einer realistischen Selbsteinschätzung zu kommen, sind die Schüler auf die Unterstützung und Rückmeldung von Lehrerseite angewiesen. Effektive Möglichkeiten dazu bieten langfristige Hausaufgaben, Zwischenchecks wie das Lernprotokoll und (mit Aufgaben verbundene) Checklisten.
Was darüber hinaus einen binnendifferenzierenden Mathematikunterricht ausmacht, ist das Wachhalten von grundlegendem Wissen und Können durch regelmäßige Wiederholungen, um nicht unnötige Lücken entstehen zu lassen. Es gibt jedoch individuelle Unterschiede, die möglicherweise im Unterricht (unbewusst) erzeugt wurden, d.h. die durch eine geeignete Unterrichtsgestaltung vielleicht vermieden oder zumindest zurückgedrängt werden könnten. Das Wachhalten von Grundwissen und Können wird im Unterrichtskonzept durch ritualisierte vermischte Kopfübungen mit Diagnoseelementen realisiert.
Zusammenfassung
Das vorgestellte Konzept möchte einen Handlungsrahmen
für eine praktikable differenzierende Unterrichtsgestaltung geben.
Die meisten eingesetzten Methoden lassen sich gut adaptieren und bieten
Schülerinnen und Schülern folgende Möglichkeiten:
- sich in ein Thema unterschiedlich weit vertiefen (Langfristige Hausaufgabe, Aufgabenset, Blütenaufgaben)
- den eigenen Übungsbedarf decken (Aufgabenset, Checkliste, Langfristige Hausaufgabe)
- für sich ansprechende und bewältigbare Aufgaben wählen (Aufgabenset, Blütenaufgaben, Langfristige Hausaufgabe)
- den eigenen Wissens- und Könnensstand sowie Lernzuwächse einschätzen (Lernprotokoll, Checkliste)
- individuelle Lücken im mathematischen Grundwissen und -können erkennen und schließen (Vermischte Kopfübungen).
Literatur
Bruder, R. & Reibold, J. (2012): Erfahrungen mit Elementen offener Differenzierung im Mathematikunterricht der Sekundarstufe I im niedersächsischen Modellprojekt MABIKOM. In: Rebecca Lazarides / Angela Ittel (Hg.): Differenzierung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht. Verlag Julius Klinkhardt, S. 67-92.